Pilgerfahrt der Seelsorgeeinheit Reutlingen Nord nach Rom: 5.9.-10.9. 2015

Die unendlichen Glaubensgeschichten mit allen Sinnen erfassen, als Gemeinschaft von Pilgern neue Raumerfahrungen an geschichtsträchtigen Orten der Christenheit machen – mit dieser Zielsetzung brachen wir auf in die ewige Stadt Rom.

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Wir, das war eine bunt gemischte Gruppe, bestehend aus 33 Personen aus den Pfarrgemeinden Sankt Franziskus und Sankt Andreas (Reutlingen), die sich unter der Führung von Pfarrer Dietmar Hermann auf den Weg machten. Unsere Zeitreise führte uns von den Monumenten des alten Rom (Kapitol, Foren, Kolosseum, Trajansmärkte) zu den frühchristlichen Gemeinden (Domitilla-Katakombe) und den konstantinischen Basiliken. Letztere entstanden nach dem Mailänder Toleranzedikt von 313, das den Christen die Glaubensfreiheit brachte, als so genannte Patriarchalkirchen. Es sind die vier großen Pilgerkirchen S. Giovanni in Laterano für das Patriarchat von Rom, S. Peter für das Patriarchat Konstantinopel, S. Paolo fueri le mura für das von Alexandria und S. Maria Maggiore für das Patriarchat Antiochia. 1964, nach dem 2. Vaticanum, verzichtete die katholische Kirche auf ihre Ansprüche auf die drei Patriarchensitze Antiochien, Alexandria und Konstantinopel im Dienste der Wiederaussöhnung mit der Ostkirche. Der Titel der vier Kirchen wurde jedoch beibehalten.

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Diese basilicae maiores verfügen über fünf Portale; ein besonderes Portal ist die Porta Sancta, die im Heiligen Jahr (das letzte war 2000) geöffnet und dann wieder verschlossen wird. Auf dem Platz vor der Basilika befindet sich jeweils ein Obelisk.

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Die Obelisken wurden von römischen Kaisern aus Ägypten nach Rom gebracht, einige auch vor Ort in Rom angefertigt. Von den Päpsten  wurden sie zum Teil an neuen Standorten wieder aufgestellt. Teilweise sollten sie als Wegweiser für Pilger dienen, wie etwa vor dem Lateran oder bei Santa Maria Maggiore.

Nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft des Papstes in Avignon im Jahr 1377 wurde der Vatican ständige Papstresidenz. Die Renaissancepäpste Sixtus IV. (1471- 1484) und Julius II. (1503-1513) , beide  aus dem Haus della Rovere,  und Papst Alexander VII., knapp 100 Jahre später, in der Zeit der Gegenreformation (1655-1667), gaben Rom künstlerisch und städtebaulich sein Gesicht. Während des Pontifikats der Rovere-Päpste wirkte ab 1506 Bramante als Baumeister des Petersdomes.

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Michelangelo entwarf die Kuppel, konnte aber am Petersdom nicht weiterarbeiten, weil der Papst anderes mit ihm vorhatte. Er beauftragte ihn nämlich mit einem gigantischen Werk: Michelangelo sollte für Papst Julius II. ein Grabmal mit 40 Statuen schaffen. Dieser Plan wurde nicht realisiert, aber eine dieser Statuen ist in S. Pietro in Vinculi zu bestaunen: Moses!

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Schon zuvor, um 1500, hatte Michelangelo, gerade Mitte 20, ein Meisterwerk aus Marmor geschaffen, die Pieta (Petersdom).

Eine weitere Plastik von seiner Hand, ein auferstandener Christus, steht in der Kirche Sopra Minerva am linken Pfeiler des Chores. 1508 begann Michelangelo mit den Deckenfresken der Sixtina; 1512 war die Decke beendet. Zur gleichen Zeit arbeitete Raffael an den so genannten Stanzen, den Papstgemächern (am bekanntesten ist die Schule von Athen).  Während des Pontifikates von Paul III. vollendete Michelangelo dann die Ausmalung der Sixtina: mit dem Jüngsten Gericht (1534-1541) gelang ihm eine Komposition von suggestiver Kraft, mit Christus als der kraftvollen dominierenden Figur. Man spürt in der Darstellung der Figuren und dem Gestus des Weltenrichters Christus noch heute die Erschütterung, welche durch die Glaubenskämpfe des 16. Jahrhunderts und die Plünderung der heiligen Stadt durch kaiserliche Landsknechte im Jahre1527, die Michelangelo als Zeitgenosse miterlebt hatte, ausgelöst wurde.

Zwischen  1656 und 1667 legte Bernini den Petersplatz mit den vierreihigen Kolonnaden an. Der Platz bildet die Staatsgrenze zwischen dem Vatikanstaat und Italien. Die Zeit des Barock ist noch mit einem weiteren Namen verbunden – Caravaggio: in drei großen Gemälden (zu besichtigen in der Kirche S. Luigi dei Francesi, Nähe Piazza Navona und Pantheon) schildert er die Berufung des Matthäus, die Niederschrift des Evangeliums mit dem Engel und den Tod des Apostels Matthäus. Es war Caravaggios erster Großauftrag, den er durch seinen Förderer Kardinal Francesco Maria del Monte erhielt. Die Gemälde sind zwischen 1599 und 1602 entstanden und zeichnen sich durch den großen Realismus sowie die für Caravaggio typische Hell-Dunkel-Malerei aus.

Der heutige Vatican-Staat ist ein sehr junger Staat. Er entstand nach jahrelangen Auseinandersetzungen nach dem Unabhängigkeitskrieg Italiens (die Statue des siegreichen und populären Feldherrn Garibaldi befindet sich auf dem Hügel Gianicolo),

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nach dessen Beendigung Viktor Emanuel aus dem Haus Savoyen König des geeinten Italien wurde. Die Gründung des Vatican-Staates – und damit das Ende des über tausendjährigen Kirchenstaates – wurde 1929 durch ein Konkordat zwischen Mussolini und Papst Pius XI. besiegelt.

Roms martialisches Gesicht zeigt sich in der Engelsburg. Sie wurde 130 n.Chr. von Kaiser Hadrian als Mausoleum konzipiert, von Theoderich 520 in ein Staatsgefängnis umgewandelt und hat bis heute ihren Wehrcharakter bewahrt. Über den passetto, einen geheimen Gang, hat so mancher Papst die Flucht gesucht vor den aufständischen Römern oder ausländischen Mächten ( z.B. im sacco di Roma 1527).

Die triumphierende Kirche als die Kirche der Heiligen wird versinnbildlicht im Petersdom mit dem Stuhl Petri, dem Ziborium und der Gloria in der Apsis dahinter (alle drei von Bernini), den vielen päpstlichen Grabdenkmälern und vor allem der gewaltigen Kuppel, – aber auch in den Kolonnaden des  240 Meter breiten Petersplatzes. Dieser hat die Form der alten ovalen Zirkusanlage beibehalten; er besteht aus zwei Ellipsen, deren Halbrund sozusagen die ganze Christenheit umfasst, man könnte auch sagen: umarmt. Mittelpunkt ist ein Obelisk mit einem Kreuz auf der Spitze. Als Schattenstab einer riesigen Sonnenuhr verweist er auf den Brückenbauer (pontifex maximus), den Papst, der als Stellvertreter Christi auf Erden die Brücke bildet zwischen der Urkirche, bezeugt durch die Märtyrerstatuen, und der Kirche der Heiligen (die 140 Heiligenstatuen des Platzes).

“Wir hören so viel und sind doch taub. Wir reden so viel und bleiben oft stumm.”

Diese Mahnung vor den Fürbitten im Sonntagsgottesdienst, den wir in der Hotelkapelle gefeiert haben, hätte uns Papst Franziskus auch mit auf den Weg geben können, denn er prangerte beim Angelusgebet am Sonntag und in der allgemeinen Audienz am Mittwoch auf dem Petersplatz vor den versammelten Pilgern aus aller Welt die Herzlosigkeit und den Egoismus der westlichen Welt angesichts des Flüchtlingselends an und rief dazu auf, die Häuser und Herzen zu öffnen, sich dem allgegenwärtigen Leid nicht zu verschließen.

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Bevor wir uns mit Germanwings wieder auf den Heimweg machten, ließen wir in einem abschließenden Gespräch die ereignisreichen Tage noch einmal Revue passieren. Dabei konnten wir feststellen, dass wir die eingangs formulierten Ziele erfreulicherweise erreicht haben:

Die Reise erweiterte nicht nur unseren Horizont, sondern wir lernten uns kennen und erlebten uns täglich als Gemeinschaft, was sicher auch den “Rahmenbedingungen” zu verdanken ist: Diakon Roland Hummler stimmte uns in einem Morgenimpuls auf den jeweiligen Tag ein und Pfarrer Hermann führte uns mit ruhiger Hand und kenntnisreich durch die Stadt und bescherte uns mit dem Gottesdienst in der Katakombe noch ein alle bewegendes Highlight!

Angela Madaus