Gesichter der Religionen

Religion in ihrer Vielfalt erfahrbar zu machen, das ist dem Rat der Religionen mit seinem Abend unter dem Motto „Gesichter der Religionen“ am Donnerstag, 8. Mai, im Spitalhof in Reutlingen gelungen.
Das Datum des 80-jährigen Jubiläums der Befreiung Deutschlands von der Diktatur eignete sich hervorragend, um das zentrale Anliegen aller Religionen, das der Rat immer wieder hervorhebt und pflegt, zu betonen: den Frieden. Damit leitete Frieder Leube als Sprecher des Rates der Religionen den Abend ein.
Von allen neun im Rat miteinander verbundenen Religionsgemeinschaften hatte sich jeweils eine Person mit einem Statement zu ihrem Glauben bekannt, ein religiöses Symbol und einem religiösen Ort benannt, die ihr am Herzen liegen und sich fotografieren lassen. Bilder und Statements sind nun auf schönen Roll-Ups zu sehen.
An dem Abend, im übervoll besetzten Spitalhof-Saal, stellten sich die abgebildeten Personen zusammen mit ihren Fotografen den Rats-Mitgliedern Bernhard Bosold, Yusuf Celep, und Sonja Digel zum Interview. Vorstand des Foto-Clubs Reutlingen, Edmund Zanger, erklärte, dass der Club sich sehr freut, durch diese Aktion nicht nur seine Kunst zu praktizieren, sondern damit auch in die Öffentlichkeit hinein zu wirken. Jeweils einen Tag etwa verbrachten die Fotografen mit ihren „Models“ und die Interviews des Abends zeigten, dass die Begegnung zwischen ihnen für die Lebendigkeit und Authentizität des Projektes eine bedeutende Rolle gespielt haben.
In den Interviews wurde deutlich, was Menschen heute bewegt, religiös zu sein. Für Malin Hagel von der katholischen Kirche etwa war es die göttliche Liebe, die sich im menschlichen Handeln zeigt, für Gudrun Kaluza spielt auch das Daheim-Sein in ihrer Gemeinde und Kirche eine große Rolle. Mehmet Özdemir betonte die Forderung des Koran, in Frieden miteinander zu leben und Manoucher Fani von der Bahai-Gemeinschaft stellte fest, dass der Mensch ohne die Führung Gottes nicht leben kann. Für Alexander Lerner war seine Abstammung der Grund, aus dem er sich im Laufe seines Lebens dem jüdischen Glauben zugewendet hatte und Isabella Nold von der evangelisch-methodistischen Kirche bezeichnete die ganze Welt als ihren religiösen Ort, da Gott überall dort lebendig werde, wo er verehrt wird. Auch in den Statements von Saikou Suwareh von der Ahmadiyya-Gemeinde, dem griechisch-orthodoxen Erzpriester Dimitrios Katsanos und Patricia Haar von der Neuapostolischen Kirche wurde deutlich, dass Gott für sie real erfahrbar ist.
In der Musik, die den Abend bereicherte, wurde der Geist der unterschiedlichen Religionen ebenso spürbar. Musiker aus den unterschiedlichen Kulturkreisen der vertretenen Religionen bereicherten das Programm. Ein griechisch-orthodoxer Chor vermittelte eine Ahnung von der tiefen Andacht orthodoxer Liturgie, der Jugendchor der Neuapostolischen Kirche machte mit einem ihrer Lieder die Bereitschaft evangelischer Frömmigkeit zu Selbstreflexion und Umkehr deutlich. Wie aus einer anderen Welt erklang die Ney-Flöte des türkischen Musikers Nefi Akkaya, und der Gesang von Julia Lerner offenbarte die tiefe Sehnsucht jüdischer Frömmigkeit.
Beim gemeinsamen Friedensgebet am Ende der Veranstaltung bei Kerzenschein unter freiem Himmel wurde nicht nur spürbar, dass Religion einen vielleicht unverzichtbaren Teil des Ringens um Frieden, das in unserer Zeit so wichtig wird, darstellt. Es zeigte sich auch die internationale Kultur der Großstadt Reutlingen, deren Migrantenanteil ja sogar höher ist als der von beispielsweise Stuttgart. Diese kulturelle Vielfalt in der schwäbischen Stadt stärker hervortreten zu lassen ist ein großer Verdienst des Rats der Religionen, dem man dafür noch sehr viel mehr Beachtung wünschen kann.
In der gelungenen Zusammenarbeit so vieler Akteure wurde deutlich, wie im Rat der Religionen in Reutlingen Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenfinden. 2023 hat er die einzige Erklärung zu den Vorgängen in Israel herausgebracht, die neben den Kirchen sowohl vom jüdischen Rabbiner wie auch von allen drei Vertretern der Moscheevereine, darunter Imamen, unterzeichnet war. Die Aussage von Mansur Guman, Imam der Ahmaddiya-Gemeinde, in Reutlingen freier zu sein als in der Heimat Pakistan, verdeutlicht die Kultur gegenseitigen Respekts, die in Reutlingen herrscht und vom Rat der Religionen gestärkt wird. In ihm gelingt es immer wieder in beispielhafter Weise, politische und ideologische Spaltung zu überwinden und sich in Zuneigung und Respekt zu begegnen – selbst bei so tiefen Konflikten wie dem in Israel und in Gaza.
Von Vera Stokic vom Amt für Integration und Gleichstellung wurde erläutert, dass das Projekt „Gesichter der Religionen“, das im Rah­men des Pro­gramms „Part­ner­schaft für De­mo­kra­tie Reut­lin­gen“ über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) gefördert wird, . Die Roll-Ups mit den Fotografien und Statements können für Veranstaltungen an Schulen und anderen Einrichtungen ausgeliehen werden, für Anfragen steht das Kontaktformular auf www.rat-der-religionen-reutlingen.de zur Verfügung. Auf der Seite finden sich auch weitere Informationen über die Arbeit des Rats der Religionen.

Text: Jochen Frank

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